Es beginnt, wie in jeder guten Geschichte, eigentlich ganz einfach:
Lin McAdam (James Stewart) und sein Partner High-Spade (Millard Mitchell), mit Bindestrich zum sich darauf ausruhen, kommen im Jahre 1876 nach Dodge City. Ein Wettschießen soll den besten Schützen des Landes bestimmen. Der Hauptpreis ist die legendäre neue Winchester `73, eine von tausend, streng limitiert. Lin rechnet sich gute Chancen auf den Sieg aus, will aber eigentlich etwas ganz anderes.
High-Spade: „Dutch Henry hat Lin’s Vater ermordet. Deshalb jagt er ihn. Vor allem weil Dutch Lin’s Bruder ist. So war das. Der Alte hatte zwei Söhne. Einer der beiden war schlecht. Überfiel eine Bank. Eine Postkutsche. Aber als er sich dann zu Hause verstecken wollte, hat der Alte es nicht zugelassen. Also hat Dutch ihn erschossen. Von hinten.“
Mit diesem Monolog Millard Mitchell’s zu der von Shelley Winters gespielten Figur Lola endet dieses einzigartige Werk, welches sowohl für seinen Star James Stewart, als auch für dessen Regisseur Anthony Mann, der Beginn einer „neuen“ (bedeutenderen) Karriere sein sollte und gleichzeitig den Start- und zugleich Höhepunkt einer äußerst fruchtbaren Zusammenarbeit markierte, der noch vier weitere Western und insgesamt sieben weitere Filme folgen sollten, in denen sie die psychologischen Themen, welche bereits hier ihre Entsprechung finden, weiter ausloteten, bis sie sich beim Dreh des sechsten Western NIGHT PASSAGE (James Neilson, 1957) vollends überwerfen sollten und nie wieder zusammen arbeiteten.
Die Winchester `73, um die sich in diesem Film alles dreht, ist dabei schon weit mehr als nur der klassische MacGuffin, sondern handlungstragendes Element, so sehr, das es sich der Film erlauben kann über weite Passagen auf seinen eigentlichen Hauptdarsteller zu verzichten, so dass die „Hauptstory“ praktisch den Rahmen für all die anderen Episoden bildet, ohne aber dabei je ihre Bedeutung zu verlieren. Zur Entstehungszeit ein Novum. Mit all diesen „kleinen“ Geschichten im Rahmen der „großen“ erzählt der Film fast noch mehr erkenntnisreiches über den „Wilden Westen“ und seine Geschichte (und auf der Meta-Ebene über das Genre des Western selbst) als beispielsweise eine Mega-Produktion wie HOW THE WEST WAS WON (Henry Hathaway, George Marshall, John Ford 1962).
Anthony Mann: „WINCHESTER 73 war einer meiner größten Erfolge und ist auch mein Lieblingswestern. Das Gewehr, das von Hand zu Hand weitergereicht wurde, ermöglichte es mir, eine ganze Epoche mit ihrer Atmosphäre einzufangen. Ich glaube wirklich, das der Film alle Zutaten zu einem Western enthält und sie alle zusammenfasst.“ (aus JAMES STEWART – LEADING MAN, Jonathan Coe 1994)
Doch Mann gelang hier noch viel mehr. Ein referentieller Film fernab verklärender Mythologie, der die Filme der vergangenen Western-Dekade (1939 – 1949) und ihre Standardsituationen als eine Art Best-Of verarbeitet, ohne auch nur für eine Sekunde seine Eigenständigkeit zu verlieren. So muss WINCHESTER `73 nach dem 1939er STAGECOACH von John Ford als DIE Initialzündung für den Fortbestand des zu dieser Zeit annähernd ausgereizten Genres gesehen werden, wie es zehn Jahre später THE MAGNIFICENT SEVEN von John Sturges noch für ein letztes Mal sein sollte. Der im nachhinein glückliche Umstand das kein geringerer als Fritz Lang sein langgehegtes Wunschprojekt abgab, war für B-Film-Regisseur Anthony Mann eine außerordentlich karrierefördernde Maßnahme, die für ihn den Aufstieg in die A-Liga bedeutete, in deren Folge er einige der bedeutendsten Western der Fünfziger Jahre inszenierte, sowie später große epische Werke wie die Monumentalfilme EL CID oder THE FALL OF THE ROMAN EMPIRE.
Neben der makellosen Inszenierung, der einfallsreichen Kamera-Arbeit, der präzisen, bisweilen überraschenden Montage und dem atmosphärischen Soundtrack, bildet das ausgeklügelte Drehbuch unter Mitwirkung von Borden Chase die Basis für das in jeder Beziehung eindrucksvoll aufspielende Ensemble unter Führung James Stewarts, in seinem erst zweiten Auftritt in einem Western nach DESTRY RIDES AGAIN (1939) von George Marshall (BROKEN ARROW von Delmer Daves war zwar bereits abgedreht, aber noch nicht veröffentlicht) , welcher noch sein (Capra-)Image des bauernschlauen, aufrichtigen Jungen vom Lande nutzte, während WINCHESTER `73 einen durch und durch von Rache getriebenen, dunklen Charakter präsentierte, der obwohl mit vermutlich gleichem Background wie seinerzeit Destry, durch den verlorenen Krieg (auf konföderierter Seite) massiv an Ambivalenz gewinnt, wie wir gleich zu Beginn des Filmes erleben dürfen. James Stewart komplettierte mit dieser Rolle seine darstellerische Bandbreite und besaß umgehend ein neues Image, erreichte gar ähnlich ikonenhaften Status wie sein ehemaliger WG-Kollege Henry Fonda als aufrechter Amerikaner mit all seinen Schwächen und Brüchen. Später bezeichnete Stewart zwar Alfred Hitchcock und John Ford als seine Lieblingsregisseure, doch was wäre er wohl ohne Anthony Mann im allgemeinen und ohne den Film WINCHESTER `73 im besonderen geworden?…
Millard Mitchell ist als High-Spade weit mehr als nur bloßer Sidekick des (Anti-)Helden, bildet das moralische Gewissen des Filmes, denjenigen der die Widersprüche verdeutlicht in die sich der Partner verstrickt, Menschlichkeit einfordert wenn es geboten ist und/oder Bedenken äußert, kurz, seinen Schützling unterstützt und zu ihm steht. Zum einen weil er der Einzige ist der es tut, zum anderen, weil er sich dessen Fehlbarkeit entgegenstellen will indem er ihn lenkt, berät und ihm jeder Beziehung Rückendeckung gibt.
Stephen McNally alias Dutch Henry Brown wirkt vor allem in der englischen Originalfassung besonders bedrohlich (in der Synchronisation eher wie ein etwas prolliger 08/15-Schurke). Er gibt den Bad Guy mit zurückhaltend überlegtem Understatement (ab und an mit jähzornigen Ausbrüchen), und lässt keinen Zweifel daran, das er jederzeit zu morden bereit ist um seine Ziele durchzusetzen. Seine Männer achten und fürchten ihn zugleich. Vor allem in der ersten Filmhälfte kann er seine Trümpfe voll ausspielen und seinem Charakter Tiefe verleihen, bis er in der zweiten Hälfte nahezu unschlagbare Konkurrenz durch den unverwechselbaren Dan Duryea bekommt, um im Finale wieder aufzutrumpfen.
Shelley Winters ist als Lola, ein Tingeltangel-Girl mit Herz, noch nicht ganz so üppig wie in späteren Rollen, wirkt geradezu zart und spielt ihren Part gewohnt kantig und selbstbewusst und schafft es (wie eigentlich immer) ihrer Figur größtmögliche Symphatie abzuringen. Bereits bei ihrer ersten Begegnung mit Stewart sieht man das unsichtbare Band, das beide verbindet und es ist im Prinzip sofort klar, das sie sich hier nicht das letzte Mal getroffen haben. Leider gerät sie im Verlauf des Filmes immer wieder an die „falschen“, weiß sich aber jederzeit zu behaupten und so ihre Würde zu bewahren.
Eine wahre Pracht für Freunde des Schauspieler-Kinos ist der bereits erwähnte Auftritt von Dan Duryea als Waco Johnny Dean im letzen Drittel des Filmes. Eine Seltenheit in der Filmgeschichte, das ein in jeder Hinsicht perfekter Film noch derartig von der Leistung und Spielfreude eines Nebendarstellers geadelt wird. Ein Auftritt der so gut ist, das er allein das ansehen des Filmes rechtfertigen würde. Eine Schande das dieser Mann beinahe nur Nebenrollen spielen durfte.
In den weiteren Nebenrollen tummelt sich allerhand etablierte Supporting-Prominenz, wie John McIntire, Will Geer und Jay C. Flippen, ein jeder mit erinnerungswürdigen Szenen, aber auch damals aufstrebende Jungstars wie Rock Hudson und Tony Curtis, welche bereits beträchtliche Leinwand-Präsenz zeigen und durchaus Akzente zu setzen vermögen.
Überhaupt umweht den Film nicht nur ein Hauch von Geschichte und Geschehen, tauchen doch ständig prominente Protagonisten wie Wyatt Earp und Bat Masterson auf oder sind Gesprächsthema, wie etwa Buffalo Bill. Außerdem werden parallel zur erzählten Geschichte stattfindende historische Ereignisse wie die Schlacht am Little Big Horn und der Untergang der 7ten Kavallerie unter General George Armstrong Custer und ihre Auswirkungen in den Dialogen berücksichtigt. Das alles gibt dem Film einen unglaublich realistisch anmutenden Anstrich und bildet den Bodensatz für die enorm kurzweilig und spannend erzählte Story.